Recht auf Versammlungsfreiheit
In vielen afrikanischen Ländern schränkten die Behörden das Recht auf Versammlungsfreiheit 2022 noch stärker ein, indem sie die innere Sicherheit oder die Coronapandemie als Vorwand benutzten, um Proteste zu verbieten, zu unterdrücken oder gewaltsam aufzulösen. Dessen ungeachtet bestanden die Menschen darauf, ihr Recht auf Protest wahrzunehmen. An zahlreichen Orten in ganz Afrika gab es große Demonstrationen, die sich u. a. gegen steigende Lebensmittelpreise richteten.
Übermäßige Gewaltanwendung seitens der Sicherheitskräfte führte zum Tod zahlreicher Demonstrierender, u a. in der Demokratischen Republik Kongo, in Guinea, Kenia, Nigeria, im Senegal, in Sierra Leone, in Somalia, im Sudan und im Tschad. In Sierra Leone wurden bei Protesten im August 27 Personen getötet, im Tschad kamen im Oktober mindestens 50 Demonstrierende zu Tode. In beiden Fällen lagen am Jahresende keine offiziellen Untersuchungsergebnisse zu den Tötungen vor.
Festnahmen und Inhaftierungen von Demonstrierenden waren auf dem gesamten Kontinent weit verbreitet. Dies betraf u. a. unzählige Menschen in Kenia, Sierra Leone und im Südsudan, die gegen steigende Lebenshaltungskosten protestiert hatten. Die sudanesischen Sicherheitskräfte nahmen im Zuge breit angelegter Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher Kritik am Militärputsch von 2021 Hunderte Demonstrierende fest und ließen viele weitere “verschwinden”. In Guinea, Senegal und Uganda gingen die Behörden gezielt gegen führende Oppositionelle und Organisator*innen von Protesten vor. Der ugandische Oppositionsführer Kizza Besigye wurde dreimal festgenommen und inhaftiert, weil er gegen Inflation und hohe Lebenshaltungskosten protestiert hatte. Sechs Frauen, die seine Inhaftierung anprangerten, wurden ebenfalls festgenommen und wegen Anstiftung zur Gewalt und Abhaltens einer nicht genehmigten Demonstration angeklagt. In Guinea wurden im Juli Organisator*innen und Teilnehmende einer verbotenen Demonstration strafrechtlich belangt.
Die Behörden in der Demokratischen Republik Kongo, in Guinea, Lesotho, Niger, im Senegal und in weiteren Ländern schränkten das Recht auf Protest durch Demonstrationsverbote massiv ein.
Positiv zu bewerten war hingegen ein Urteil des Gerichtshofs der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, das die senegalesischen Behörden im März anwies, einen Ministerialerlass aus dem Jahr 2011 aufzuheben, der “politische Demonstrationen” im Zentrum der Hauptstadt Dakar untersagt hatte. Nach Ansicht des Gerichts verstieß der Erlass gegen die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen, Journalisten*innen und Oppositionelle wurden drangsaliert, eingeschüchtert und bedroht, nur weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatten. In Nigeria verurteilte ein Gericht in der Stadt Kano zwei beliebte Social-Media-Persönlichkeiten unter dem Vorwurf, sie hätten in einem Comedy-Sketch den Gouverneur des Bundesstaats Kano verunglimpft, zu einer Woche Haft, Auspeitschung und einer Geldstrafe. Im Senegal wurden u. a. ein Oppositionsführer und zwei Aktivisten festgenommen und wegen Verleumdung und Verbreitung falscher Nachrichten angeklagt. Im Sudan nahm die Polizei wegen eines Beitrags in den Sozialen Medien über die Rekrutierung von Kindern für die Armee eine Frau im Bundesstaat Süd-Kordofan fest. Sie wurde auf Grundlage des Gesetzes über Internetkriminalität u. a. wegen Veröffentlichung falscher Informationen angeklagt. Der Aktivist und Autor Kakwenza Rukirabashaija floh aus Uganda, nachdem er wegen Twitter-Beiträgen festgenommen worden war, die nach Ansicht der Polizei den Sohn des Präsidenten, Generalleutnant Muhoozi Kainerugaba, beleidigten. In Sambia wurden zwei Männer, denen vorgeworfen wurde, den Präsidenten auf TikTok beleidigt zu haben, zu zwei Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt.
Auch Angriffe auf die Medienfreiheit waren weiterhin an der Tagesordnung. Im Sudan und in Uganda durchsuchten Sicherheitskräfte Gebäude von Fernsehsendern. In Ghana, Mali, Nigeria, Somalia und Tansania wurden Medienunternehmen vorübergehend oder endgültig geschlossen, weil sie Berichte veröffentlicht hatten, die nach Ansicht der Behörden kritische oder unvorteilhafte Darstellungen der Regierung enthielten. Auch viele Journalist*innen wurden festgenommen und inhaftiert oder routinemäßig drangsaliert und eingeschüchtert. Die äthiopischen Behörden nahmen mindestens 29 Journalist*innen und Medienschaffende fest und hielten viele von ihnen ohne formelle Anlage in Haft. In Eswatini wurde Zweli Martin Dlamini, Redakteur der Swaziland News, auf Grundlage des Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung als Terrorist eingestuft. Ein Gericht in Ghana verurteilte einen Radiomoderator wegen Missachtung des Gerichts zu zwei Wochen Haft und einer Geldstrafe von 3.000 ghanaischen Cedis (etwa 200 Euro), weil er in einem Video den Vorwurf erhoben hatte, Präsident Akufo-Addo habe sich mit Richter*innen abgesprochen, um die Präsidentschaftswahl 2020 zu beeinflussen.
Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Malawi, Mosambik, Niger, Ruanda, Simbabwe und Somalia unterdrückten die Rechte von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen. Im Juni 2022 wurde der 70-jährige Umweltaktivist Henri Rakotoarisoa in Madagaskar erstochen. In Mosambik brachen Unbekannte, die mutmaßlich für den Geheimdienst arbeiteten, in das Büro des Menschenrechtsanwalts João Nhampossa ein und stahlen seinen Computer sowie USB-Sticks, Mobiltelefone und verschiedene Dokumente. Der mosambikanische Menschenrechtsverteidiger Adriano Nuvunga erhielt Morddrohungen.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Auch das Recht auf Vereinigungsfreiheit geriet in Afrika weiter unter Druck, was vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen zu spüren bekamen. So hinderte die Polizei in Angola die Menschenrechtsorganisationen OMUNGA und Associação para Desenvolvimento da Cultura e Direitos Humanos daran, im Vorfeld der Parlamentswahl eine Tagung zur Friedensförderung abzuhalten. In Burundi schritt die Polizei ein, als zivilgesellschaftliche Organisationen im März eine Pressekonferenz veranstalteten. In Guinea lösten die Übergangsbehörden den Front National pour la Défense de la Constitution auf, ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien, das die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung forderte.
Außerdem traten weitere Gesetze in Kraft, um zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterdrücken und zu kontrollieren. In Niger erließen die Behörden im Februar 2022 ein Dekret, das NGOs verpflichtet, alle ihre Programme und Projekte von der Regierung genehmigen zu lassen. Dem Parlament in Simbabwe lag ein Gesetzentwurf bezüglich privater Freiwilligenorganisationen vor, der die Arbeit und Existenz zivilgesellschaftlicher Organisationen bedrohte.
Die Regierungen müssen die gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen gerichteten Repressalien und Einschüchterungen einstellen, alle gegen sie erhobenen Anklagen fallen lassen und alle, die willkürlich festgenommen oder inhaftiert wurden, unverzüglich und bedingungslos freilassen. Sie müssen die Medienfreiheit respektieren, indem sie u. a. sicherstellen, dass die Medien unabhängig arbeiten können.
Wurden für ihr mutiges Engagement mit dem Amnesty-Menschenrechtspreis 2022 der deutschen Amnesty-Sektion ausgezeichnet: Mitarbeitende des Äthiopischen Menschenrechtsrats EHRCO in ihrem Büro in Addis Abeba (Archivaufnahme vom Januar 2022).
© Maheder Haileselassie Tadese