Die Behörden nutzten 2024 weiterhin Gesetze bezüglich “ausländischer Agenten”, “unerwünschter Organisationen” und “Kriegszensur”, um Vertreter*innen der Zivilgesellschaft strafrechtlich zu verfolgen und jegliche Kritik am anhaltenden Krieg gegen die Ukraine sowie an anderen politischen Maßnahmen zu unterdrücken. Auf Grundlage der “Kriegszensurgesetze” (Paragrafen 207.3 und 280.3 des Strafgesetzbuchs) wurden mindestens 98 neue Strafverfahren eingeleitet und 171 Personen verurteilt.
Auch Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus wurden immer häufiger gegen Regierungskritiker*innen eingesetzt. Die Behörden leiteten mindestens 114 neue Strafverfahren wegen “Rechtfertigung von Terrorismus” gegen Menschen ein, die lediglich ihre Meinung zu bestimmten Ereignissen oder Personen geäußert hatten.
Bücher, Filme, Theaterstücke und Fernsehproduktionen wurden zensiert oder zurückgezogen, weil sie Hinweise auf gleichgeschlechtliche Beziehungen oder andere verbotene Themen enthielten oder weil deren Autor*innen als “ausländische Agenten” eingestuft wurden.
Im August 2024 blockierte die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor die Messaging-App Signal und im Dezember die Messaging-App Viber.
Im Februar 2024 verurteilte ein Gericht den bekannten Menschenrechtsverteidiger und Co-Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation Memorial, Oleg Orlow, wegen “Diskreditierung der Streitkräfte” zu 30 Monaten Haft. Er hatte in einem französischen Medium einen kritischen Artikel veröffentlicht. Im August wurde Oleg Orlow im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen.
Im März 2024 verurteilte ein Gericht den Journalisten Roman Ivanov zu sieben Jahren Haft, weil er “wissentlich falsche Informationen über die russischen Streitkräfte” verbreitet haben soll. Der Journalist hatte auf mutmaßliche Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine hingewiesen.
Im Juli 2024 wurden die Theaterregisseurin Evgenia Berkovich und die Dramatikerin Svetlana Petriychuk wegen “Rechtfertigung von Terrorismus” zu sechs Jahren Haft verurteilt. Grund war ihr preisgekröntes Theaterstück Finist Yasny Sokol über Frauen, die nach Syrien ausgereist waren und Mitglieder bewaffneter Gruppen geheiratet hatten.
Im Juli 2024 starb der Pianist Pawel Kuschnir in der Haft, nachdem er einige Tage zuvor in einen Hungerstreik getreten war und auch keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen hatte. Pawel Kuschnir hatte auf Youtube friedlich den Krieg gegen die Ukraine kritisiert und war daraufhin wegen “öffentlicher Aufrufe zum Terrorismus” festgenommen worden.
Nach dem Tod von Alexej Nawalny setzten die Behörden die Repressalien gegen Nawalnys Stiftung für Korruptionsbekämpfung und andere mit ihm verbundene Gruppen fort. Im September 2024 begannen Verfahren gegen drei seiner Rechtsbeistände, im Oktober gegen vier Journalist*innen. Ihnen allen wurde willkürlich “Mitarbeit in einer extremistischen Organisation” vorgeworfen.
Im Oktober 2024 begann in St. Petersburg ein Prozess gegen sechs Aktivist*innen der Jugendbewegung Vesna. Die Anklagepunkte bezogen sich auf deren friedliche Aktivitäten gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ihnen drohten Haftstrafen von bis zu 15 Jahren.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im Oktober, dass Russland mit seinem Gesetz über “ausländische Agenten” gegen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstoße. Geklagt hatten 107 Organisationen und Einzelpersonen, die als “ausländische Agenten” eingestuft worden waren.